Selbsthilfe bei Schüchternheit und sozialer Phobie

 

Contraste - Zeitung für Selbstorganisation, März 2023

Am Anfang dreht sich der Bauch bisschen um

Von Ariane Dettloff

INTERVIEW MIT JULIAN KURZIDIM, VORSITZENDER VON INTAKT E.V.

Meistens stellen sie ihr Licht unter den Scheffel, die extrem schüchternen Menschen. Durch Kontaktangst bis hin zu Sozialphobie kommen sie nur schwer im "normalen" Leben zurecht. Der - zunächst schwere - Schritt in eine Selbsthilfegruppe kann ihnen aus Isolation und Einsamkeit heraushelfen. Julian Kurzidim kennt die Problematik aus eigener Betroffenheit und gründete 2004 den Verein "intakt - Norddeutscher Verband der Selbsthilfe bei sozialen Ängsten e.V. ", der aktuell acht Selbsthilfegruppen vernetzt. Bundesweit gibt es 50 bis 60 solcher Gruppen. Ariane Dettloff hat für CONTRASTE mit Kurzidim gesprochen:

CONTRASTE: Können Sie schildern, welche Schwierigkeiten Ihnen zunächst im Wege standen, um zu einer Selbsthilfegruppe zu finden?

Julian Kurzidim: So wie es allgemein auch passt ... Oh je, jetzt weiß ich gerade nicht weiter. Das ist so typisch bei schüchternen Menschen. Manch anderer plappert einfach drauflos, - na ja, die nachdenklicheren Leute...

Dazu gehören Sie offenbar ...

Jaja!

Sie brauchen keine Bedenken zu haben: Sie können später, wenn ich Sie um die Autorisierung des Interviewtextes bitte,. etwas streichen oder ergänzen oder auch nicht. Wie sind Sie denn zu der Selbsthilfe für sehr schüchterne Menschen gekommen?

Was mir den Mut dazu gegeben hat, war die Idee: Ich bin anders - das meine ich nicht defizitorientiert. Man kennt ja die verschiedenen Emanzipationsbewegungen, die sich auf ihre Stärken konzentrieren, die in den jeweiligen Gruppen vorhanden sind. Sie wurden zu Experten in eigener Sache. So ähnlich wollte ich das auch. Da war also der nächste logische Schritt: Ich suche mir Leute, die so ähnlich sind wie ich.

Trotzdem war es sicherlich nicht einfach, sich in die Gruppe zu begeben, oder?

Das ist für viele Leute ein großes Problem, dieser erste Schritt. Und für uns als Selbsthilfe-Verein "intakt" ist das Problem, dass wir, wenn die Leute zu Hause sitzen und diesen ersten Schritt nicht schaffen, ja nichts von ihnen wissen und können ihnen daher auch nicht helfen. Wenn sie dann schließlich in der Selbsthilfe-Gruppe sind, können sie ja erst mal nur zuhören. Dann merken sie mit der Zeit: Den anderen in der Gruppe geht es ja so ähnlich wie mir, und das ist für viele dann auch schon eine Hilfe in die Richtung, dass sie den zweiten Schritt machen können und etwas von sich mitteilen.

Wie konnten Sie denn diesen Schritt überhaupt tun?

Das ist bei mir etwas besonders, weil ich den Verein "intakt" gegründet habe. In meiner Nähe gab es damals keine passende Selbsthilfegruppe.

Und wie haben Sie das erste Treffen erlebt?

Das war bei der Veranstaltung, wo ich meine Gründungsidee vorgestellt habe. Vor 30 Leuten habe ich einen 20-minütigen Vortrag gehalten.

Das war ja sehr mutig!

Ja schon, aber es stand ja meine starke Motivation dahinter, auch die Vorfreude auf die Begegnung mit ähnlich Betroffenen. Dadurch war mir das möglich. Wenn es nicht mein ureigenstes Thema gewesen wäre, hätte ich auch diese berühmten Bühnenängste gehabt. Ob ich es dann geschafft hätte, weiß ich nicht. Aber aufgrund des mir so wichtigen Themas ging es...

Wann ist das gewesen?

2002.

Sie haben bestimmt im Laufe der Zeit sehr viel von anderen gehört, was sie tun, um mit ihrem Problem klar zu kommen. Welche Erfahrung anderer hat Sie denn besonders beeindruckt?

Dass manche Gruppenteilnehmende so mutig sind, dass sie Risiko-Sportarten wie zum Beispiel mit Selbstüberwindung zu tun hat. Sie haben wahrscheinlich auch angstvolle Gedanken: "Oh, was passiert, wenn das Seil reißt?" Viele würden es deshalb gar nicht versuchen. Aber die, die sich trauen, wissen, wie sie mit diesen Gedanken umgehen können, so dass sie es dann doch noch schaffen. Indem sie das mitteilen, geben sie anderen in der Gruppe ein Beispiel, so dass die es auf ihre eigenen Angstsituationen übertragen können. Das konnte ich auch tun und dann ein Gespräch darüber in Gang bringen.

Fordern Sie die anderen dann auf, dazu etwas zu sagen?

Es ist immer alles freiwillig, es soll keinesfalls eine Drucksituation entstehen oder gar eine Prüfungssituation. Die Gruppenteilnehmenden wissen schon: Sie dürfen alles erzählen, sie müssen aber nicht. Je nachdem, was sie erreichen wollen, überlegen sie, ob sie doch noch den Mut haben, so eine Geschichte zu erzählen. Es gibt auch Selbstüberwindungsübungen: Wie kann ich mich zeigen?

Was sind das für Übungen beispielsweise?

Manche Gruppen machen das so: Sie treffen sich in der Innenstadt. Und wer zum Beispiel Angst hat, andere nach dem Weg zu fragen, kann das dann tun. Die anderen stehen in der Nähe und gucken zu, ein bisschen so wie Trainer. Und hinterher wird das in der Gruppe besprochen.

Haben Sie das auch gemacht?

Nicht als Gruppenaktion, aber so für mich selbst ab und zu, je nachdem - für meine eigenen Angstsituationen...

Sie haben dann nach dem Weg gefragt?

Nein, das wäre für mich keine Überwindung. Im Internet sind auch Fotos von mir mit einer knallroten auffälligen Mütze, was für sehr schüchterne Menschen eine große Herausforderung bedeutet. Da kann man dann beobachten: Wie viele Leute gucken denn wirklich hin?

Fällt Ihnen das heute leichter?

Ja. Am Anfang dreht sich der Bauch bisschen um. Aber man gewöhnt sich schließlich daran. Und irgendwann kann man das genießen, und irgendwann ist es normal. Das nennt man eine Angst-Konfrontations-Übung.

Konnten Sie Kontakte und Aktivitäten auch außerhalb der Gruppentreffen anbahnen?

Ja, einerseits in meiner Funktion als Gruppenleiter und als Vereinsvorsitzender - das Gespräch jetzt ist auch schon so ein Kontakt außerhalb der Gruppe. Andererseits trägt die Gruppe auch dazu bei, dass man selbst zufriedener ist. Dann macht man auch insgesamt einen attraktiveren Eindruck auf Leute, die nicht zur Gruppe gehören.

Und die Gruppenmitglieder selbst - haben Sie erlebt, dass die sich auch außerhalb der Sitzungen treffen und etwas unternehmen?

Ja, das kommt immer wieder auch vor. Dass sie in der Gruppe merken: Da passen einige ein bisschen mehr zusammen. In den 20 Jahren, in denen ich das jetzt mache. sind auch einige Beziehungen entstanden. Ich weiß von zwei Menschen mit Kind. Das ist für mich dann auch eine gewisse Bestätigung, dass ich da etwas Gutes auf den Weg gebracht habe.

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zuletzt am 16.07.2023 um 12 Uhr 26