Selbsthilfe bei Schüchternheit und sozialer Phobie

 

Rundbrief Oktober 2023

Titelseite

Inhalt:
   - Kuscheltiere beim Oktoberfest
   -
   - Buchbesprechung "Das habe ich im Koma gedichtet"
   - Tipps der Selbsthilfe können die eigene Resilienz stärken
   - 7 Tipps für Angehörige von psychisch kranken Menschen

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ZITAT

"Anything you say can and will be used against you in a court of law."
("Alles, was Sie sagen, kann und wird vor Gericht gegen Sie verwendet werden.")

Pflichtauskunft der amerikanischen Polizei, außerhalb der USA aus Filmen bekannt



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Kuscheltiere beim Oktoberfest

Weil die Titelseiten der letzten Rundbriefe sehr textig waren, hier ein Bild.
Passend zu einem Thema der letzten Ausgabe - Kuscheltiere beim Oktoberfest:



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Vor kurzem kam mir der Gedanke: in 20 Jahren und bis zu 15 Gruppen waren wohl 1000 Leute in diesen, und an Kontakt interessiert. Ich würde gern diese 1000 auf einem Platz versammeln und ihnen sagen: Schaut euch um. Hier findet ihr endlich die Leute, die ihr so lange sucht. Die euer Spezialthema mit euch teilen. Die in eurem Alter sind. Die ihr damals in der Gruppe vergeblich gesucht habt. Ist nur ein Gedanke, viele würden auch nicht in eine Masse von 1000 Menschen gehen, aber - schaut trotzdem: Ihr seid nicht allein.


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Buchbesprechung "Das habe ich im Koma gedichtet"

Wie so oft schreibe ich wieder über ein Buch, das mir zufällig in die Hände fiel. Es erschien in einer Reihe von leichten Humorbüchlein und verspricht damit einfache Unterhaltung in gefühlt schwachen Sofa-Momenten. Da ist ein Buch jedenfalls ganz gut.
Der Untertitel ist "Autoren, die die Welt zum Glück nie lesen musste", der Inhalt ist eine Sammlung von kuriosen und verunglückten Anschreiben an einen Buchverlag. Die beiden Herausgeber waren jahre-lang im Lektorat tätig und erhielten "täglich zwischen zehn und dreißig unverlangt eingesandte Manuskripte" - mit den dazu gehörigen Bewerbungs-Anschreiben, deren kurioseste im Buch landeten.

Es ist sortiert in Kapitel über "Junge Dichter", "Spinner", "Schnorrer" und selbstverständlich religiöse, technische und Verschwörungs-Fantasien. Da geht es um Gott und die Schwerkraft - nein, "Gott ist die Schwerkraft". Die Angst vor dem Welt-untergang findet sich häufig und verbindet sich in bekannter Weise mit Anzeichen des Wertewandels. Wobei diesem aber hin und wieder nachgegeben wird: Ein Abgelehnter bot an, die Erzählungen in Sachen "Sechs und Erotik" noch einmal nachzu-schärfen (→1). Unüberlesbar ist auch die Selbst-überschätzung vieler Einsender: "Bitte drucken Sie als Startauflage 1 Mio. Exemplare".
Manche genannten Dinge schienen mir so abstrus, daß ich sie einfach googeln mußte. Auch wenn die Anschreiben im Buch schon älter sind, ihre Themen könnten es ins Internet geschafft haben. Der "Eselsmühlstein" stammt aus der Bibel, die "Traubenzuckerlampe" war völlig unbekannt, aber ein Buch "Bidet in Begonien" ist tatsächlich erschienen (→2).

Also ist das Buch vergleichbar mit Sendungen wie "Superstar", "Big Brother" und "Pleiten, Pech und Pannen"? In denen wir andere Leute scheitern sehen können und wollen? Die wir gucken, um uns für was Besseres zu halten? So läßt es sich auch lesen, aber dann scheinen durch die abstrusen Themen und Briefe verschiedenste Abgründe auf.
Wenn jemand eine Dokumentation über sein Leiden am Arbeitskollegen "Herrn W." anbietet, ist das zwar kein Thema für ein eigenes Buch, aber für eine Anti-Mobbing-Beratungsstelle. Wer davor warnt, der Menschheit drohe "ein Weltprand im Religionen-wahn", ist zunächst einmal mit den Weltnachrichten überfordert. Oder wer feststellt, "dass das Schachspiel programmiert wird", hat Vertrauen in die Mitwelt verloren.

Es fällt auf, wie viele dieser Anschreiben sich ähneln. Die Vorstellungen über den Weltuntergang sind durch die Bibel und Hollywood standardisiert, die über moderne Physik durch Einstein und Hawking. All das strahlt bis in das Buch. Die Ideen der "Verrückten" sind untereinander ähnlich genug, daß sie eine Sekte gründen könnten. Glauben die Leute, sie wären die einzigen, die die "blutigen Auseinandersetzungen um Luft, Wasser und einen Stehplatz" vorausahnen? Wie einsam sind sie, daß sie ihr Thema ohne Gleichgesinnte angehen? Wieviele Freunde haben sie verloren, weil diese nichts mehr hören wollten von "Phoronomie-Dynamik"? Na gut, seien wir froh, daß es nicht jene Themen sind, mit denen die AfD ihre Stimmen sammelt.
Im Kapitel "Spinner" scheinen ohnehin psychische Krankheiten durch. Doch was ist unser eigenes Freak-Thema an der Grenze zum Wahn? Welche Probleme sitzen bei uns zu tief, um sie uns von anderen ausreden zu lassen?

Mit der Frage bin ich beim zweiten Hintergrundthema des Buchs: es hilft, das Dauerthema "Bewerbung" einmal von der anderen Seite zu sehen. Am Anfang ist sie vielleicht noch zu höflich formuliert: "Ich hoffe, Ihnen mit Ihrer freundlichen Erlaubnis mitteilen zu dürfen?" Doch ein Satz wie "und stehlen Sie mir nicht so viel Zeit ... wie die anderen 63 Verleger" läßt fragen: in 63 Versuchen nichts dazugelernt? Sollte das nun schon 64. Anschreiben mal umformuliert werden, ob dann eine bessere Antwort kommt?
Doch auch bei Bewerbungen ist oft die Antwort dumm statt der Frage. Wenn ein Interessent um Aufklärung bittet, "welche Formulare auszufüllen sind, damit Ihr Verlag meine Texte als Buch veröffentlichen könnte" - würde da nicht die Antwort reichen, "dann machen wir einen Vertrag"? Ähnliche Fragen kennt, wer für eine unserer Gruppen die Anfragen annimmt. ("Muß man was bezahlen, oder was zum Schreiben mitbringen?")

Unterm Strich läßt sich zu Büchern wie diesem diskutieren, ob sie die verborgenen Abgründe der Welt verspotten oder ob sie diese in einer massentauglichen Form öffentlich machen.

Julian / Braunschweig

Rolf Cyriax, Peter Wichmann:
Das habe ich im Koma gedichtet.
Bassermann Verlag, 2011, ISBN 978-3-8094-2826-8


↑1 Tut mir leid, aber dieses Zitat dar in keiner Besprechung des Buches fehlen. Das Buch-Beispiel für expliziten "Sechs" lasse ich hier aber weg.

↑2 Im Selbstverlag der Autorin. Ich habe es antiquarisch bei Amazon bestellt, aus gewisser Sympathie unter Außenseitern. Ich kann bestätigen, daß es zu konfus ist.




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Ideen aus Prävention und Gesundheitsförderung können die eigene Resilienz stärken
Tipps der Selbsthilfe sollen beim Umgang mit einer seelischen Erkrankung unterstützen

ZUSAMMENFASSUNG
   - Vorbeugung vor psychischen Erkrankungen gelingt durch eine gute Selbstbeobachtung.
   - Entspannung, Stressbewältigung und Schlafhygiene sind wichtige Ergänzungen zur Therapie.
   - Die Ansprüche und Erwartungen an das eigene Ich sollten stets kritisch hinterfragt werden.


"Psychische Erkrankungen lehnen wir deshalb so oft ab und verleugnen sie, weil wir der festen Überzeugung sind, dass sie Ausdruck von Schwachheit seien!" - Diese Feststellung trifft der Leiter der bundesweit aktiven Selbsthilfeinitiative zu Zwängen, Phobien und Depressionen, Dennis Riehle (Konstanz), und erklärt hierzu: "Solch einen Glaubenssatz zu überwinden, kann erheblich dazu beitragen, dass wir eine seelische Störung als einen Teil von uns selbst annehmen und respektieren. Wir akzeptieren damit nicht, uns passiv mit ihr abfinden zu müssen. Aber wir können ausprobieren, die Chance und Sinnhaftigkeit hinter der Erkrankung zu verstehen und daraus zweckmäßige Glaubenssätze zu formulieren, die uns anspornen, eine proaktive Auseinandersetzung mit der Erkrankung vorzunehmen - und im besten Falle dann sogar an ihr wachsen zu können. Zudem gibt es auch zahlreiche Ansätze aus der Beratung, Prävention und Gesundheitsförderung, die uns dabei unterstützen, in seelischer Dysbalance wieder neuen Halt zu gewinnen", so der 38-Jährige vom Bodensee in einer aktuellen Stellungnahme. Riehle ist Coach, aber selbst seit 25 Jahren psychisch erkrankt und hat 2005 bis 2015 eine Selbsthilfegruppe zu Zwängen, Phobien und Depressionen geleitet und diese nach Auflösung durch das ehrenamtliche Angebot zur Mailberatung für Betroffene und Angehörige ersetzt. Er weiß deshalb gut, welchen Stellenwert die Selbsthilfe hat. "Was kann mir in Zeiten psychischer Not helfen? Gibt es ein Buch, das mich aufbaut? Musik, die mich erheitert? Einen Glücksbringer, der mich begleitet? Fotos, die mich an gute Zeiten erinnern? - Jeder von uns kann seine persönliche Box zusammenstellen, die man aus der Ecke holen kann, wenn die Gedanken wieder einmal einseitig werden und sich die Stimmung drückt. In solchen Augenblicken hilft es ungemein, wenn man sich auf intime und gleichsam stets verlässliche Dinge rückbesinnen kann, mit denen man Halt, Gebor-genheit und Standfestigkeit verbindet. Emotionalität spielt bei psychischen Erkrankungen eine enorm bedeutsame Rolle, weshalb es durchaus ratsam sein kann, sich mithilfe von Erinnerungen und angenehmen Gefühlen und Empfindungen Stabilität in wackeligen Momenten zu erzeugen. Wir selbst wissen am besten, mit welchen Katalysatoren aus unserem Alltag das am ehesten gelingt", erklärt der Psychologische Berater einige Möglichkeiten, Krankheit besser zu verstehen.

"Wenn eine seelische Erkrankung unser Leben beeinflusst, verändert sich automatisch auch das Spielfeld unseres Daseins. Zweifelsohne bringt Krankheit nicht selten Einschränkung mit sich. Natürlich sollte es stets unser Ziel und Ansinnen sein, diese Beengung wieder loszuwerden und die Weite zurückzugewinnen, die wir vor Eintritt der Erkrankung genießen konnten. Dennoch hat es wenig Sinn, wenn wir versuchen, die Ursprünglichkeit mit Gewalt wieder-herstellen zu wollen. Manches Mal ist es notwendig, Gegebenheiten anzunehmen und zu versuchen, in diesen neu gesteckten Grenzen das Beste aus unserem Leben zu machen. Dazu braucht es eine gewisse Bereitschaft zur Veränderung und die Erkenntnis, dass Menschen diversen unveränderlichen Schicksalen ausgesetzt sind. Da bleibt oftmals nur die Gelassenheit, sich im veränderten Rahmen auszubreiten und die noch zur Verfügung stehende Fläche vollends auszukosten. Hoffnungen und Wünsche sind wichtig. Wir sollten aber vermeiden, krampfhaft gegen ‚Ist-Zustände‘ anzutreten, denn der Einsatz dafür raubt uns Energie für Schönes, das auch mit Erkrankung weiter erfahrbar bleibt", befindet Dennis Riehle - und ergänzt: Der unmittelbare Zusammenhang zwischen Stress und psychischer Erkrankung ist vielfach belegt. Deshalb gebietet es sich nahezu bei jeder Form von seelischem Leiden, Augenblicke zum Durchatmen, zum Abstandnehmen, zum Innehalten in den Alltag einzubauen. Mithilfe von Entspannungstechniken kann dies gut gelingen, ebenso mit bewussten Auszeiten, in denen wir uns das gönnen, was sonst zu kurz kommt. Ob es nun das Lesen eines langersehnten Buches, ein ausgedehntes Bad, ein leckeres Essen, eine halbe Stunde Mittagsschlaf oder ein Spaziergang in der Natur ist: Das explizite Inanspruchnehmen von stressreduzierenden Maßnahmen senkt das Level von Angespanntheit ab und vermindert damit auch die Aktivität der psychiatrischen Symptomatik. Entscheidend ist, dass wir möglichst viele Sinne beteiligen, denn durch sie lässt sich das negative Wirkungsniveau von Stressoren regulieren", sagt der Sozialberater, der bereits mehrere tausend Betroffene begleitet hat.

"Auch wenn wir in heutiger Zeit dazu neigen, die meisten Probleme mit uns selbst ausmachen zu wollen, weil wir Andere damit nicht belasten möchten, ist es ungemein hilfreich, wenn wir im Falle einer seelischen Erkrankung ein klar definiertes und von uns ausgewähltes Umfeld in die Diagnose, die Symptomatik, die Behandlung und die Konsequenzen der Erkrankung einbeziehen. Jeder von uns sollte dabei ganz individuell entscheiden, wer aus dem familiären, freundschaftlichen und beruflichen Umkreis ins Vertrauen gezogen wird. Nicht nur das Teilen der Nachricht über die eigene Betroffenheit lässt Last von uns fallen. Auch kann es den Menschen in unserer Umgebung erleichtert werden, unser Verhalten und Denken besser zu verstehen, wenn bekannt ist, dass wir unter einer bestimmten Krankheit leiden. Auch deren neutrale und außenstehende Haltung trägt wesentlich dazu bei, andere Perspektiven einzunehmen und manche subjektive Realität zu einer objektiven Wahrheit umformulieren zu können. Ihr kritischer Blick auf unsere Person ist ein wichtiger Spiegel, der uns im Zurechtrücken mancher Einfältigkeit sehr wertvoll sein kann", erläutert Dennis Riehle. Seine Tipps sind daher: "Verschiedene Anbieter von Coaching bis Volkshochschule offerieren mittlerweile regelmäßige Kurse, um die eigene Persönlichkeit zu trainieren. Ziel dabei ist es vor allem, das Selbstbewusstsein zu kräftigen und somit Zweifel an der eigenen Resilienz zu zerstreuen. Mit Techniken zur Stimulierung des Selbstwertes kann erreicht werden, dass ein Erkrankungsbild weniger stark an uns heranrückt. Wir können uns mit einer gefestigten Persönlichkeits-struktur deutlich von unserer Erkrankung abgrenzen, die zwar einerseits synton zu uns gehört. Letztlich ist sie aber inkongruent und passt nicht mit unserer eigenen Vorstellung von Gesundheit und Abschirmkraft zusammen. Daher hilft ein entsprechendes Üben frischer und überarbeiteter Wertzuschreibungen an unsere eigene Person, beispielsweise in Form einer überdachten Liste an Eigenschaften, die uns auch in Krisen der Vergangenheit wetterfest machten", beschreibt der in Seelsorge und mentalem Training ausgebildete Dennis Riehle seine Haltung abschließend.

Die Psychosoziale Beratung der Selbsthilfeinitiative ist kostenlos über www.selbsthilfe-riehle.de erreichbar.

Dennis Riehle
Selbsthilfeinitiative Zwangserkrankungen, Phobien,psychosomatische Störungen und Depressionen, Dissoziative und psychotische Erkrankungen
Martin-Schleyer-Str. 27, 78465 Konstanz
Web: www.selbsthilfe-riehle.de
Mail: info@selbsthilfe-riehle.de
privat: www.dennis-riehle.de
"Twitter": https://twitter.com/riehle_dennis
Mobil: 0179/7945412 (nur "Whatsapp" und SMS)


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Annahme, Ermutigung, Reflexion und Selbstfürsorge - 7 Tipps für Angehörige von psychisch kranken Menschen

ZUSAMMENFASSUNG
   - Angehörige von Menschen mit psychischen Erkrankungen stoßen im Umgang häufig an Grenzen.
   - Statt Ratschläge braucht es ein Spiegeln des Verhalten des Gegenübers.
   - Das Umfeld seelisch Erkrankter sollte nicht zögern, bei Bedarf selbst Hilfe in Anspruch zu nehmen.


Angehörige von Menschen mit psychischen Erkrankungen sind beispielsweise im System "Familie" hautnah mit den Auswirkungen solch eines schweren Leidens konfrontiert. Nicht selten fühlen sie sich ohnmächtig und hilflos. Und sie stehen vor der großen Frage, wie sie ihre Liebsten unterstützen können - und wie ein richtiges Verhalten gegenüber dem Betroffenen aussehen kann. Im Folgenden werden hierzu mehrere Tipps gegeben.

1.) Annahme: Machen Sie sich immer wieder klar, dass Ihr Angehöriger nicht an seiner Erkrankung schuld ist. Entsprechend wäre es auch kontra-produktiv, Vorhaltungen zu unterbreiten oder ihn aufzufordern, sich "zusammenzureißen". Schluss-endlich muss bei Ihnen wie bei ihm die Einsicht reifen, dass es sich um eine Krankheit handelt, welche unterschiedliche Ursachen haben kann - und die vom Betroffenen nur schwer beeinflusst werden können. Insofern sollten Sie dem Gegenüber zu jedem Zeitpunkt die bedingungslose Annahme seiner Person versichern. Unterstreichen Sie, dass Sie ihn stets unterstützen werden und an der Seite stehen. Verdeutlichen Sie auch, dass Sie bereit dazu sind, den Weg von Therapie und Behandlung gemeinsam zu gehen.
Sagen Sie ihm Ihre Rückendeckung und vorbehaltlose Begleitung zu. Zeigen Sie sich überzeugt, dass Sie die Überwindung der Erkrankung und den oftmals anstrengenden Weg dorthin gemeinsam und mit Zuversicht schaffen werden.

2.) Verständnis: Zeigen Sie sich gegenüber Ihrem Angehörigen verständnisvoll. Versuchen Sie sich so gut wie möglich in seine Situation hineinzuversetzen und zumindest zu verstehen, welche innere Zerrissenheit und seelische Not für manch eine Verhaltensänderung verantwortlich sind. Sie müssen sich nicht mit der Erkrankung abfinden oder sie relativieren. Viel eher hilft es, wenn Sie die psychische Störung in ihrer Bedeutung ernst nehmen und Ihrem Liebsten bezeugen, dass Sie manch falsches Wort, fragwürdiges Handeln oder merkwürdiges Denken des Gegenübers als Teil seiner Gesamtsituation entschuldigen und verzeihen können.

3.) Reflexion: Oftmals fehlt bei den Betroffenen die Einsicht über ihre Erkrankung. In solchen Fällen scheint es sinnvoll zu sein, ihnen durch die Spiegelung ihres Verhaltens und Redens sehr deutlich zu machen, was sich durch die Störung gewandelt hat.
Formulieren Sie in "Ich"-Botschaften, was Sie wahrnehmen und was Ihnen möglicherweise auch Angst macht. Bringen Sie Liebe und Wertschätzung dem Gegenüber zum Ausdruck. Unterlassen Sie es aber aus falscher Rücksichtnahme nicht, Ihrem Nächsten entsprechend seine mögliche Wesens-veränderung ohne unterschwellige Anwürfe darzulegen und ihn damit zu konfrontieren. Bleiben Sie in Ihrer Wortwahl bei sich und beschreiben Sie ausschließlich, was Sie empfinden. Vermeiden Sie also die direkte "Du"-Ansprache oder "Muss"-Formulierungen.

4.) Ermutigung: Seien sie zuversichtlich mit Blick auf die Erkrankung Ihres Nächsten.
Nehmen Sie ihm so gut wie möglich die Angst und falsche Vorstellung, dass er der Einzige sei, der von diesem Leiden betroffen ist. Schließlich ist er damit ausdrücklich nicht allein. Viel eher können Sie auch unterstreichen, dass seelische Störungen mittlerweile ein weitverbreitetes Phänomen sind und niemand sich für diese Entwicklung schämen oder verantwortlich fühlen muss. Zeigen Sie Ihrem Gegenüber authentisch auf, dass es heute eine Vielzahl von Therapien und Behandlungen gibt, um die psychische Erkrankung zu lindern. Drängen Sie ihn zu nichts und vermeiden Sie es, Ihren Angehörigen unter Druck zu setzen. Sichern Sie ihm stattdessen immer wieder aufs Neue zu, wonach Sie ihn zu möglichen Arztbesuchen oder Terminen begleiten, wenn dies von ihm gewünscht wird. Unterstützen Sie ihn bei der Suche nach einer geeigneten Adresse. Und machen Sie deutlich, dass man heutzutage mit einer seelischen Störung seinen Alltag weiterhin selbstbestimmt gestalten kann.
Erwähnen Sie, dass psychotherapeutische Verfahren, psychopharmakologische Ansätze und niederschwellige Maßnahmen breitflächig zur Verfügung stehen und ohne Gewissensbisse in Anspruch genommen werden können. Niemand muss ohne Hilfestellung mit einer psychischen Erkrankung leben.

5.) Co-abhängiges Verhalten: Nicht nur Angehörige von Suchterkrankten können von einer sogenannten "Co-Abhängigkeit" betroffen sein. Sie fühlen sich ihrem Angehörigen derart tief verbunden und gehen so intensiv mit seiner Situation mit, dass sie sich an seinen Alltag anpassen, Denk- und Verhaltensmuster übernehmen oder gar davon überzeugt sind, dass sie die Krankheit mit ihm durchleben müssten.
Oftmals richten sie ihr eigenes Leben vollkommen nach der Erkrankung des Gegenübers aus. Und sie übernehmen für den Betroffenen sogar gewisse Neutralisationshandlungen (beispielsweise Kontrollgänge, Nachversicherungen und Überprüfungen, die dazu geeignet sein sollen, den Erkrankten Ängste, Sorgen und Zweifel zu nehmen). Doch durch diese völlige Selbstaufgabe des Angehörigen ist dem Erkrankten nicht geholfen, im Gegenteil. Stattdessen befördert sie sein obsessives Denken und Handeln und kann die seelische Störung sogar befeuern, weil der Betroffene den Eindruck erhält, dass seine Verhaltensauffälligkeit angemessen sei. Deshalb gilt trotz aller Nähe mit dem kranken Familienmitglied das Gebot notwendiger Distanz. Hierbei geht es nicht darum, sich emotional zu entfernen oder Unterstützung zu versagen. Allerdings sollten Angehörige nicht in das krankhafte Denken oder Handeln des Gegenübers eingreifen - auch wenn sie es gut meinen. Im schlimmsten Fall können dadurch sogar Aggressionen beim Erkrankten entstehen, weil nach seinem Verständnis unrechtmäßig in seine eigene Ordnung eingegriffen wird. Deshalb ist es wichtig, zu verstehen, dass Solidarität mit dem Nächsten unbedingt erforderlich und wünschenswert ist. Allerdings sollte sich die Hilfestellung ausschließlich auf die Alltagsgestaltung oder Haushaltführung beziehen, nicht aber auf Krankheitsabläufe. Auch wenn es schwerfallen und wehtun mag, ist es wichtig, den Betroffenen auch zeitweise in Ruhe zu lassen und ihn nicht mit gut gemeinten Ratschlägen oder Empfehlungen zu überhäufen. Wahren Sie in der Sache eine Distanz, offenbaren Sie aber stets Ihre gefühlsmäßige Verbundenheit.

6.) Grenzen setzen: Gerade in familiären Bindungen kann es durch eine psychische Erkrankung bei einem der Mitglieder zu Konflikten und Problemen kommen. Diese werden nicht selten dadurch ausgelöst, dass der Betroffene nicht bereit ist, seine Erkrankung anzuerkennen oder Hilfe in Anspruch zu nehmen. Schlussendlich kann in einer freiheitlichen Demo-kratie niemand dazu gezwungen werden, Therapie oder Behandlung in Anspruch zu nehmen. Solange keine Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegt, entscheidet allein der Patient darüber, ob er sich helfen lassen möchte. Der Angehörige kann ihm gegenüber immer wieder die Vorteile und gute Prognose bei der frühen Inanspruchnahme professioneller Unterstützung deutlich machen. Allerdings ist es oftmals erst der Leidensdruck des Betroffenen, der ihn selbst zum Umdenken bringen kann.
Gleichsam ist es dem Angehörigen nicht zuzumuten, die Verweigerungshaltung des Erkrankten beliebig auszuhalten oder mitzutragen. Deshalb ist es vollkommen richtig, im Zweifel Grenzen zu setzen und dem Erkrankten mit aller Deutlichkeit nahezubringen, dass die Leidensfähigkeit der Familie nicht endlos ist. Entsprechend kann es manchmal auch hilfreich sein, eine räumliche Trennung anzukündigen und vorzunehmen. Selbiges sollte nicht über eine Drohung oder Nötigung stattfinden, sondern auch hier wiederum in der Formulierung von "Ich"-Botschaften. Machen Sie geduldig, aber bestimmt klar, dass irgendwann ein Zeitpunkt erreicht ist, an dem Sie die Situation nicht länger hinnehmen können - weil sie Ihnen nicht guttut und auch bei Ihnen zu seelischer Überlastung führen kann.

7.) Selbstfürsorge: Menschen, die mit einem psychisch erkrankten Angehörigen zusammenleben, müssen auf Dauer nicht selten ebenfalls Hilfe in Anspruch nehmen, weil sie mit der Gesamtsituation nicht klarkommen. Entsprechend sind Burnout oder stressbedingte Erscheinungen bei Familien-mitgliedern dann nicht untypisch.
Allerdings sollte es soweit nicht kommen, weshalb Sie sich als Gegenüber des Patienten stets auch um Ihre eigene Gesundheit kümmern, Eigenfürsorge betreiben und Seelenhygiene fördern sollten. Nicht nur dem Betroffenen sind ergänzende, nieder-schwellige Angebote ein wichtiger Baustein in der Behandlung und Therapie seiner Erkrankung. Auch die Angehörigen können von der Teilnahme an Selbsthilfegruppen, Entspannungstraining, Coaching und Beratung, Mentalem Training, Neuformulierung von Glaubenssätzen, Resilienz-Kursen, Ernährungs-umstellung und Vitalstoffen, Lichttherapie, Bewegungsgruppen oder Entlastungsleistungen durch Bürgerschaftliche Vereine oder der Kranken- und Pflegekasse entsprechend profitieren. Nehmen Sie sich bewusste Auszeiten und regelmäßig Abstand. Denn es gibt zahlreiche Möglichkeiten, Ihren Angehörigen auch dann durch Außenstehende betreuen zu lassen. Opfern Sie sich nicht auf, bis all Ihre eigenen Kräfte geschwunden sind - denn damit ist niemandem geholfen. Bauen Sie sich ein Netzwerk an Unterstützern auf, beispielsweise aus Freunden, Kollegen oder Nachbarn. Oder lassen Sie sich bei den verschiedenen Anlaufstellen von Kirchen, Wohlfahrtsorganisationen oder Sozial-verbänden seelisch unterstützen.

Kostenlose Psychosoziale Mailberatung unter www.beratung-riehle.de.

Dennis Riehle
Psychologischer-, Sozial-, Integrations-, Ernährungs- und Familienberater
Coaching, Seelsorge, Mentales Training, Prävention und Gesundheitsförderung
Martin-Schleyer-Str. 27, 78465 Konstanz
Mail: info@beratung-riehle.de


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zuletzt am 13.10.2023 um 14 Uhr 33