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Für Sie, 10/2009
Warum die Seele oft keine Hilfe findet
Menschen mit psychischen Problemen werden nicht ausreichend versorgt. Häufig stehen sie sich aber auch selbst im Weg.
Von Claudia Minner
Kommentar: Dieser Artikel wurde vom intakt e.V. mit Fachwissen unterstützt.
Braucht die Seele Rat und Unterstützung, braucht sie vor allem erst einmal Geduld. Rund zwei Monate wartet man im Durchschnitt auf ein Vorgespräch bei einem Psychotherapeuten; bis ein Therapieplatz frei wird, dauert es ungefähr ein halbes Jahr. Hauptgrund: "Es gibt zu wenig Therapieplätze", sagt Hans-Jochen Weidhaas von der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung aus Berlin.
Die ersten Anzeichen psychischer Probleme liegen bei Menschen, die auf eine Therapie warten, aber im Schnitt meist schon sieben Jahre zurück. Für diese vermeidbare Verzögerung gibt es mehrere Ursachen. Zunächst einmal: die Unwissenheit. "Die Menge an psychotherapeutischen Angeboten bildet einen schwer durchschaubaren Dschungel. Und klärende Gesprache darüber führt man nicht, denn das Thema ist immer noch ein Tabu", so Weidhaas, Welche Therapie brauche ich? Wie finde ich einen Therapeuten? Wahrend man mit Kollegen offen über Knie-OPs oder Zahnärzte spricht, behält man diese Fragen für sich - und schiebt sein Problem so lange vor sich her.
Ein weiterer Grund, warum eine Therapie verzögert wird, hat weniger mit dem Klienten als mit seinem behandelnden Arzt zu tun. "Viele psychische Erkrankungen bleiben unerkannt, weil die Hausärzte sie übersehen", sagt Weidhaas - vor allem für Depressionen und Angstzustände gelte das. Denn diese seelischen Probleme seien oft mit Symptomen verbunden, die körperliche Ursachen haben können - zum Beispiel Müdigkeit und Erschöpfung oder Schlaflosigkeit, Herzrasen sowie diffuse Schmerzen. "Es werden zahlreiche ärztliche Checks gemacht - aber keine psychologische Untersuchung."
Viele Betroffene würden Letzteres auch gar nicht wollen. Schließlich gelten psychische Probleme nach wie vor als großer Makel. "Im Unterschied zu körperlichen Beschwerden empfindet man seelische viel eher als Angriff auf die eigene Persönlichkeit", sagt Fritz Propach vom Verein Pro Psychotherapie aus München. "Ist die Gesundheit beeinträchtigt, gibt man nicht sich, sondern äußeren Faktoren die Schuld - obwohl das eigene Verhalten zur Krankheit durchaus beigetragen haben mag. Hat man hingegen ein psychisches Problem, fühlt man sich oft selber schuldig." Versagensängste kommen auf, man fragt sich: Was hab ich falsch gemacht? Solche Sorgen sind unangenehm, kratzen am Selbstwertgefühl, werden deshalb verdrängt. Zum "Seelenklempner" zu gehen kommt nicht in Frage, das ware ein Eingeständnis der eigenen Hilfsbedürftigkeit.
Aber auch, wenn man frei von diesen Ängsten ist, wird der Gang zum Profi oft hinausgezögert - weil man ein Problem nicht als solches erkennt oder andere es verharmlosen. Bei Silke Weber* aus Köln war es so. "Ich war der Psychotherapie gegenüber immer aufgeschlossen", sagt sie. Ihren echten Namen möchte sie trotzdem nicht preisgeben, denn "es ist leider immer noch so, dass einem 'geistige Defizite' nachgesagt werden, wenn man bei Therapeuten war. Man gilt dann gleich als nicht belastbar."
Die heute 36-Jährige hat jahrelang unter depressiven Symptomen gelitten. Anfangs bekam sie ihre Stimmungsschwankungen gut in den Griff, deshalb suchte sie keine professionelle Hilfe. Auch die Äußerungen von anderen - "Reiß dich zusammen, ist doch alles nicht so schlimm" - trugen dazu bei, dass sie versuchte, mit ihrem Problem allein klarzukommen. Erst als sie sich in einem Dauertief befand, mit Selbstmordgedanken spielte, wurde ihr klar, dass sie es so nicht schafft. Jetzt suchte sie sich einen Therapeuten - acht Jahre nach den ersten Stimmungstiefs. Es war der richtige Schritt, wenn auch spät.
Silke Weber ist kein Einzelfall. Vielen fällt es schwer, das eigene Seelenleben objektiv zu bewerten: Was ist normal, was nicht? Bei körperlichen Problemen macht sich die Abweichung vom Normalzustand meistens bemerkbar - durch Schmerzen oder andere Krankheitssymptome. Seelische Beschwerden hingegen sind weniger eindeutig. Schließlich ist der Normalzustand der Psyche abhängig von der Persönlichkeit. Die nachdenkliche Grüblerin hat eine andere Grundstimmung als die fröhliche Optimistin, der schüchterne Einzelgänger tickt anders als der kontaktfreudige Partymensch.
Hat man eine Depression, wenn man regelmäßig niedergeschlagen ist? Oder ist man einfach melancholischer als andere Menschen? Stimmt mit einem etwas nicht, wenn man lieber zu Hause sitzt als unter Leute zu gehen? Oder ist man vielleicht von Natur aus so?
Auch Christian Köhler* aus Braunschweig kennt diese Überlegungen. Der 33-Jahrige hat eine Gesprächstherapie gemacht, um seine Schüchternheit in den Griff zu bekommen. Sozialphobie heißt das in der Welt der Psychologen. Schatzungsweise 3 bis 13 Prozent der Bevölkerung sind davon betroffen.
Schon in der Schule war Christian Köhler ein Einzelgänger, hatte wenig Freunde. "Das war nicht weiter schlimm, aber manchmal habe ich mich schon gefragt, ob ich etwas falsch mache." Mit Beginn des Studiums änderte sich das, er akzeptierte die Schüchternheit als Teil seiner Persönlichkeit, dachte sich: "Ich bin nun mal so." Der Gedanke, dass ihm eine Therapie helfen könnte, kam ihm nicht. Bis er wegen seiner Prüfungsangst im vierten Semester bei der psychologischen Studentenberatung landete. Fünf Jahre ging er dorthin, irgendwann entschied er sich, eine professionelle Therapie anzuschließen.
Diese Hilfe in Anspruch zu nehmen hat ihn viel Überwindung gekostet. "Man überlegt sich natürlich, was der Therapeut von einem hält, wenn man mir so einem kleinen Problem zu ihm kommt." Hinzu kam die Angst davor, ausgelacht zu werden. "Viele wissen nicht, wie sie mit jemandem, der psychische Schwierigkeiten hat, umgehen sollen. Aus dieser Hilflosigkeit entsteht Angst, und das ist der beste Nährboden für Vorurteile und Ausgrenzung."
Heute weiß er: Es war eine gute Entscheidung, sich durchzuringen. Er hat in der Therapie neues Selbstbewusststein gewonnen, hat gelernt, seine Eigenschaften und Leistungen positiver zu bewerten. "Das hilft mir, meine Angst vor anderen Menschen zu überwinden. Ich habe Freunde gefunden, unternehme mehr. Mit der Therapie wurde eine Positivspirale in Gang gesetzt."
Auch Silke Weber ist mit ihrer Entscheidung zufrieden. "Ich konnte mich dadurch von meinen Selbstmordgedanken befreien. Ich rufe zwar nicht 'Juhu, ein neuer Tag', wenn ich aufstehe, aber der neue Tag stört mich nicht mehr. Wenn etwas Schönes anliegt, kann ich mich darauf sogar freuen. Insgesamt bin ich heute wieder viel zufriedener - und auch fröhlicher."
Was maßgeblich dazu beigetragen hat, war ihre Bereitschaft zur Veränderung. Vielen Menschen fehlt dies, sie scheuen sich deshalb, eine Therapie zu beginnen. Für Psychotherapeutin Claudia Effertz aus Eschweiler ist das sogar der Hauptgrund, warum Probleme unbehandelt bleiben. "Die meisten Menschen haben Angst, dass sie Leben umkrempeln müssen." Die Befürchtung ist nicht unbegründet. Möchte man ein bestimmtes Problem lösen, muss man sich von alten Verhaltensweisen oder Meinungen verabschieden. Mitunter kann im Laufe einer Therapie auch herauskommen, dass es besser wäre, sich von einem nahestehenden Menschen unabhängiger zu machen, gegebenenfalls auch, sich von einem Partner zu trennen. "Letztendlich bleibt es aber natürlich jedem selber überlassen. wie stark man in sein Leben eingreifen möchte", so Effertz.
Das sieht auch Hans-Jochen Weidhaas von der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung so: "Eine Therapie ist immer nur eine Hilfe zur Selbsthilfe. Wir geben dem Patienten nicht sein Brot, wir bringen ihm nur bei, wie man es backt." Für diese Anleitung lohnt es sich auch, die Wartezeiten in Kauf zu nehmen.
* Die Namen wurden von der Redaktion geändert
HIER FINDEN SIE WEITERE INFORMATIONEN
- Der Verein Pro Psychotherapie e.V. beantwortet auf seiner Website die häufigsten Fragen zum Thema. Außerdem hilft er bei der Suche nach einem geeigneten Therapeuten (www.therapie.de, Tel. 0 89/72 99 75 36).
- Infos und Hilfe bei der Therapeuten-Suche bietet auch der Psychotherapie-Informationsdienst vom Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (www.psychotherapiesuche.de, Tel. 0 30/2 09 16 63 30).
- Im Mai erscheint die aktualisierte Auflage des Therapie-Ratgebers "Mut zur Veränderung" von Rosemarie Piontek (Balance Verlag, 17,95 Euro)
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