Selbsthilfe bei Schüchternheit und sozialer Phobie

 

Rundbrief August 2017

Titelseite

Inhalt:
   - Ballade eines Schüchternen
   - Selbsthilfetage - der postmoderne Infostand
   - Der Botanische Garten - ein Ruhepol
   - Bühnentext "Mit Worten boxen"
   - Roma locuta, causa finita?
   - Die Hundertjährige und der Schnaps
   - Die Stief-Urgroßmutter im KZ
   - Was würde ICH da bloß antworten, Teil 4

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75. Ausgabe

ZITAT

"Die Welt gehört denen, die lauter denken als andere schreien."

Werbeslogan einer Tageszeitung



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Ballade eines Schüchternen an Herrn Psychoknigge
Preisausschreiben, Platz 4

Ach, wenn sich bloß öffnete der Boden und mich verschlänge,
aber nein, er trägt mich sicher, auch wenn ich noch so ränge;
mit hochroter Birne, schwitzend und sta-amm-elnd, oh Gott,
wäre ich Bob Dylan, drehte ich allen meinen Rücken, gegen Spott.
Dazu müsste ich allerdings erst werden ein Nobelpreisträger,
in der Disziplin der Schüchternen, im Psycho-Sprech Sozialphobiker?
Eine wissenschaftliche Formel hätte ich schon für Euch alle, hey:
Niie aufgeben, zieht Euch aus'm Schlamm, try better, fail better, ey!
Und gelänge es, stotter- und schweißfrei, was wäre mein Obulus?
Arroganz und Blasiertheit, Menschenverachtung und so'n Stuss!
Der Preis, den Eliten und Arrivierte zahlen für ihre Karriere,
gepaart mit Burnout, Depressionen und dieser grässlichen Leere.
Klappe aufreißen, besser wissen, Ellenbogen - das ist heute die Norm,
das ruhige, aber tiefe Wasser, einfühlsam, sorry, nicht mehr die Form;
die Schüchternen sind "Low Performer", leistungsschwach - VIVAT,
mit ein paar Federstrichen psychiatrisch stigmatisiert: als Seelenproletariat.
Die vielen Kriege, Vertreibungen und Terror, der Raubbau an der Erde,
Drahtzieher sind nicht die Scheuen, sondern Narzissten - ade!
Aller Moral und Ethik, den Worten der Bibel und des Korans zum Trotze,
belohnt nicht auch die Natur nur Ego? - welch riesengalaktische Kotze!
Da rackere ich lieber weiter in meinem verschwitzten Schlammloch,
wuchte Tag um Tag den Berg hinauf den Sisyphosfels, mein Joch;
und freue mich, dass beim Herunterrollen mich nie erschlägt das Trumm,
Bescheidenheit zeichnet den Menschen aus, nicht Bumm-Bumm.
Also bitte, keinen einzigen Tag im Leben ohne Demut und Schüchternheit,
ist doch jeder erfüllte Traum eine Illusion weniger in des Lebens Buntheit;
eines Tages wird mein Fels den Berg abgetragen haben, so wie alle Gebirge,
während Barden und Lüfte säuseln "Blowing in the wind", Herr Psycho-Knigge.

(anonym)


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Der postmoderne Infostand
Selbsthilfetage in Hildesheim und Braunschweig

ZUSAMMENFASSUNG
   - Straßenwerbung unter erschwerten Umständen
   - Allein vier Stunden im Stehen durchhalten
   - Kreative Ideen zur Straßenstand-Gestaltung


Manche mögen beim folgenden Text denken: "Ich hab keinen Bock, für andere alleine stundenlang auf der Straße rumzustehen." Naja, zum Rumstehen läßt sich diese Meinung noch vertreten. Doch wichtige Dinge wie Geldverdienen, Ernährung, Wohnung usw. macht man nicht für andere; und bei denen fragt das Leben nicht nach "Bock". Das muß man bekommen, egal wie schwierig es wird. Daher ist es gut, zu wissen, wie man Ziele erreicht. Besser: wie man sie auch unter harten Bedingungen erreicht. So wird ein Ehrenamt wie hier zur Übung im Lebenskampf. Durchhalten und Neudenken!

Ein Infostand erfordert eigentlich vieles: Tisch, Zelt, Spendendose, Steine zum Festhalten der Infozettel. Ein 3x3m-Pavillonzelt erfordert mehrere Beteiligte beim Transport und beim Aufbau. Die sind aber nicht in jeder Gruppe zu finden, auch in größeren Gruppen haben viele Angst vor Öffentlichkeit. Was ist also, wenn man die Arbeit am Stand fast allein macht? Geht das? Ja.

Selbsthilfetag Hildesheim
Hildesheim, 17.6.
Hier bot der Gruppenleiter einen Campingtisch und die Steine an. Da gutes Wetter angesagt war, reiste ich ohne Zelt an. Es wurde also ein kleiner Stand. Das breite Transparent legte ich quer über den Tisch. Dadurch hing es zwar an beiden Seiten über; doch auf diese Art war sein Schriftzug von der Seite zu lesen. Der bewährte Kundenfänger "Sie fühlen sich jetzt erwischt?" hing in A4 vorn am Tisch.
Die Lage war ideal: in der Fußgängerzone gleich neben dem Shopping-Menschenstrom. Viel Zufallspublikum, viele drehten den Kopf so, daß sie das Transparent lesen konnten. Der erste Besucher war der Bürgermeister, der sich viele (alle?) Stände zeigen ließ.
Leider fehlten ein Stuhl und eine Wasserflasche. Wegen der Spendendose konnte ich nicht vom Stand weg, um mir was zu kaufen. Vier Stunden Stehen - mit Aussicht auf eine große Uhr! - wurden hart.
Der letzte Interessent um 14.02 erzählte von seiner eigenen Selbsthilfetherapie: seinen Lehrer ohrfeigen. Dann bauten wir in 5 Minuten ab. Am Bahnhof war dann endlich die Entbehrung vorbei: wieder essen und sitzen.
Selbsthilfetag Braunschweig
Braunschweig, 24.6.
Hier waren weder ein Auto noch ein Tisch zu bekommen. Eine letzte Anfrage zwei Tage vorher blieb erfolglos. Muß der intakt-Stand als "Untermieter" anderswo mit auf den Tisch? Doch dann sah ich am Morgen vor dem Stand mein altes Postfahrrad. Die Idee! Die Stahlrohr-Gepäckträger vorn und hinten waren ideal, um das Transparent daran festzubinden. Dann ein Brett auf den hinteren Gepäckträger, ein Tuch drüber bis über den Sattel, fertig war der Tisch für die Infozettel.
Bleibt noch der schon genannte Kundenfänger. Den Spruch klebte ich in DIN-A2 auf ein dünnes Brett und hängte es an meinen Fahnenstock. (Diese Konstruktion hatte ich schon oft genug als Demonstrant eingesetzt.) Ich mußte nur noch den Stock am Fahrrad festbinden.
Zum Transport von Zeltstangen war auf dem Rad kein Platz. Daher ein großer Dank an die Nach-bargruppe "Angst und Depression", die meinen Postrad-Stand mit unter ihr Dach nahm. Das war kein Platzproblem, weil diese Gruppe selbst nur einen kleinen Campingtisch brauchte.
Selbsthilfetag Braunschweig Das Postfahrrad entwickelte sich zum Hingucker - wie so manche Notlösung schon zum Erfolgsrezept wurde. Ich hatte zu wenige Flugblätter, weil ich nur schnell den Rest aus Hildesheim eingepackt hatte. Allerdings hatte ich Restbestände alter Rundbriefe dabei, in denen die verschiedensten Themen zu finden waren. So konnte ich daraus etwas Passendes raussuchen und damit auch einige Zettel weggeben, die ich sonst nicht loswerde.

Im Endeffekt wurden beide Stände doch noch ein Erfolg, hoffentlich auch beim Zulauf zu den Gruppen.

Julian / Braunschweig


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Der Botanische Garten - ein Ruhepol

ZUSAMMENFASSUNG
   - Ich erzähle über die besonderen Orte im Garten wie z.B. den Wasserfall
   - Ich stelle einen Kontext zwischen dem Garten und der Schüchternheit her
   - Der Garten stellt für mich ein Rückzugsort in der Stadt dar und bietet viel Ruhe


In diesem Artikel möchte ich ein wenig über den Botanischen Garten in Braunschweig berichten, welcher für mich zu einem Fixpunkt in meinem Leben geworden ist. Ich besuche diesen Garten gerne in lockeren Abständen, um dort die Ruhe zu genießen und die Farben der Blumen aufzusaugen.
Die Freude beginnt bereits auf der Fahrradtour zum Botanischen Garten. Ich gehe eigentlich immer zuerst tief in den Garten hinein in Richtung Oker, um mich von den umgebenen Straßen zu entfernen. Dort verharre ich dann ein paar Augenblicke, um meinen Körper die Ruhe aufsaugen zulassen. Anschließend bewege ich mich beliebig zu meinen Lieblingsorten im Botanischen Garten. Allerdings stelle ich dabei fest, dass ich selten auf einer Bank platznehme, sondern immer in Bewegung bin. Als besonderen Ort kann ich den Bereich des Wasserfalls nennen. Gerne verweile ich ein paar Minuten dort und genieße dieses wunderbare Geräusch von fließendem Wasser. Neben dem Wasserfall befindet sich auch gleich einer meiner Lieblingsbäume im Garten. Es ist ein wunderschöner Fächer-Ahorn, der mit seinen kleinen Blättern einen besonderen Charakter ausstrahlt und auch im Herbst eine schöne Färbung einnimmt. Ein weiterer von mir bevor-zugter Ort sind die Gewächshäuser mit ihren exotischen Pflanzen und einem Mini-Regenwald, welcher einen in eine andere Welt eintauchen lässt. In einem weiteren Gewächshaus wird die Victoria-Seerose zu einem besonderem Highlight, sie beeindruckt durch ihre sehr großen Blätter die sich über die Wasseroberfläche ausbreiten.
Da ich das Fotografieren zu meinen Hobbies zähle, bin ich im Frühling und Sommer immer sehr dankbar für die vielen potenziellen Fotomotive im Botanischen Garten. Für die Fotos zähle ich den Bauerngarten und die Beete auf dem hinteren Rasenbereich zu den bevorzugten Orten, dort lassen sich diverse Tulpen und andere schöne Blumen finden.
Seerose im botanischen Garten Interessanterweise zieht mich dieser Garten auch im Winter oder im Herbst an, wenn nur wenige andere Menschen auf die Idee kommen dort zu verweilen. Natürlich reduziert sich zu diesen Jahreszeiten die Verweilzeit im Botanischen Garten, aber ich finde eigentlich immer etwas interessantes zum Betrachten. Wenn auch dies nicht der Fall ist, reicht auch schon eine schnelle Runde im Garten zur Entspannung. Ein zentraler Anlaufpunkt für die dunklen Jahreszeiten sind natürlich die Gewächs-häuser, zum Aufwärmen und Genießen.
Ich kann mich noch an eine Besonderheit erinnern, da war der Botanische Garten auch nachts geöffnet, das war bei der TU-Nacht 2015. Die Wege waren durch Fackeln und Teelichter beleuchtet und es war in manchen Ecken noch viel ruhiger als gewöhnlich. Es lag alles in einer diffusen und flackernden Beleuchtung.

Den Zusammenhang zur Schüchternheit und Zurückgezogenheit möchte ich zuerst mit dem zweiten Grundstücksteil des Botanischen Gartens erläutern. In diesem Gartenteil existiert noch mehr Ruhe und noch mehr Möglichkeiten, um sich zurück-zuziehen. Da dieser Teil weniger bekannt bzw. weniger mit bunten Blumen bevölkert ist, trifft man dort weitaus weniger Menschen an. Allgemein auf den Botanischen Garten bezogen ist es vorteilhaft, dass dort meist nur Personen anzu-treffen sind, die sich ebenfalls sehr für Botanik und Ruhe interessieren, was ihn für mich zu einer geschützten Umgebung macht. Man ist unter Gleichgesinnten und fällt durch seine Eigenarten nicht weiter unter den Besuchern auf. Auch als Hobby-Fotograf habe ich bisher gute Erfahrungen in diesem Garten gesammelt. Ich wurde dort noch nicht durch unsinnige Fragen von Passanten zu meinem Hobby gestört. Im sonstigen Stadtgebiet gibt es oft Fragen wie: "Was fotografieren Sie? Wieso fotografieren sie das? Stellen sie die Bilder ins Internet? Bin ich auf dem Foto zu sehen?" (→1) Der Botanische Garten ist für mich also ein rundum gelungener Ort, um dem Alltag zu entfliehen.

Jannis

↑1 siehe intakt-Rundbrief 3/17 "Hundertmal dieselbe Frage anhören?"




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Mit Worten boxen
Bühnentext

Jetzt mal ehrlich:
Mit Worten boxen, das findet ihr gut?
Ich sag' euch: zum Boxen gehört generell Mut -
Egal ob mit Fäusten und voll auf die Plauze
oder verbal mit vorlauter Schnauze,
denn immer geht's dabei auch ums Verletzen,
den Gegner zu stellen, zu treffen, zu hetzen,
zu quälen, zu jagen,
zu täuschen, zu schlagen
und selber dabei die Deckung zu wahren,
den Andern vernichten mit Haut und mit Haaren,
ohne eigene Schmerzen
oder zu bluten - obwohl:
G'rade das erst macht ja 'nen guten
Boxkampf für viele erlebenswert;
wenn der Hass, der im eigenen Inneren gärt
von den Kämpfern im Ring ausgetragen wird -
stellvertretend und ohne Bandage
mit roher Gewalt in entfesselter Rage
mit Fäusten und Tritten und Bissen und Klauen
soll geboxt und gekniffen, gekratzt und gehauen
werden, bis die Schwarte kracht
(oder der Kiefer) wie man das so halt macht
für jene, die sich NIE selber trauen
und deshalb so gerne beim Kämpfen zuschauen
in der Hoffnung auf Fremdschmerz und wohliges Grauen,
wenn einer Gesundheit und Zähne verliert,
auf den wird dann alles drauf raufprojiziert,
was die Zuschauer quält / wurmt / deprimiert:
Dem wird jetzt richtig die Fresse poliert,
die fiese Visage umdekoriert
bis die Bestie im Bürger voll Zorn triumphiert,
ohne dass er sich selber blamiert
oder die reinweiße Weste beschmiert,
dieser Drecksack im Festfrack,
dieser Wutmensch im Gutmensch -
NEIN... !
Dafür sind ja die Faustkämpfer da,
die Boxer und Ringer und Judoka,
und für jene, die sich zivilisierter wähnen,
die Wort-Kombattanten, mit denen
sich selbst Akademiker zieren,
indem sie wohlwollend applaudieren
und später die trefflichsten Zeilen zitieren:
»Ach, war das nicht köstlich?«
Und:
»Nein, ach wie kess!«
»Jaja, gewiss frech - doch auch voll Raffiness?!«
-
Ich glaub, ich muss kotzen.
Denn die Schnösel und Fotzen,
die solchen Flachsinn von sich geben
und kopfschüttelnd über den Pöbel erheben,
kennen das Leben -
aber eben
nur simuliert und trainiert in Volkshochschulgruppen,
wo man zum Beispiel statt Kleinkinder Puppen
geruchs- und verschmutzfrei zu wickeln lernt.
Das diskutiert man ausführlich zuhause mit Bernd
und beschließt dann gemeinsam zum Kindeswohle,
dass man doch besser 'ne Nanny ranhole.
Ob's fürs Boxen wohl Volkshochschulkurse gibt?
Etwa nicht?
Mann-O-Mann - na, da bin ich betrübt!
Das wär' doch mal was für den Würger im Bürger,
der sich zwar offiziell nie etwas traut,
aber heimlich daheim (wenn kein Nachbar hinschaut)
das eigene Kind gern beschimpft und auch haut;
nur so wird es mit der Härte des Lebens vertraut! ...
Solche Leute
lade ich heute
hier auf die Bühne zum Schlagabtausch ein -
das kann als Erfahrung berührend echt sein,
denn wie grau und wie mau ist doch Theorie
im Vergleich mit der Praxis und Empirie
von wirklich schlagkräft'gen Argumenten?
Kommt rauf! Ihr seid hier in besten Händen!
Keiner?
Okay, ich war auch nicht scharf
auf Prügel, wenn ich mal ehrlich sein darf.
Doch ihr wisst allesamt,
was ich meine - verdammt! -
wenn wir von solchen Arschlöchern sprechen,
die Schwäch'ren genüsslich das Rückgrat zerbrechen,
sei's als Lehrer, als Eltern oder als Chef -
mir ballt sich die Faust, wenn ich so einen treff'
und euch geht es sicherlich ebenso,
ODER?
?
Na also, da bin ich echt froh!
Zurück zur Lyrik, die Freiräume schafft,
und (wenn sie gut ist) mit größerer Kraft
als Hiebe je zu vollbringen vermögen
Herzen und Menschen und Welten bewegen
und ALLES für immer verändern kann!
Wenn du das bezweifelst, dann denk mal daran,
welche Kräfte ein Schlachtruf entfesselt und dann
wie ein Liebeslied tröstet und feinfühlig macht
und wie man bei witzigen Reimen laut lacht
oder Kinder in Schlaf singt mit ganz leiser Stimme;
das ist doch viel stärker als all das Schlimme,
was scheinbar mächtige Menschen aushecken,
nur um eigene Schwächen und Ängste zu decken -
Denk drüber nach und vergiss es dann nie:
Den Boxkampf mit Worten gewinnt... POESIE!

Lars O. Heintel, im Januar 2017


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Roma locuta, causa finita?

ZUSAMMENFASSUNG
   - Entscheidungen: mühsam erarbeitet, schnell aufgegeben
   - Gruppenlähmung durch "Herdentrieb"
   - Die Gruppenleitung muß aktiv sein


Die Situation ist sicher bekannt: Einige Gruppen-mitglieder gehen gemeinsam durch die Straßen. Wenn einer stehenbleibt - z.B. um in ein Schaufenster zu sehen - bleiben alle stehen. Es dauert lange, bis sie weitergehen. Die Leute stehen ratlos da. Von irgendwoher muß der Anstoß zum Weitergehen kommen. Wo ist dieses "irgendwoher"?
Schon ist man drin im Problem der Gruppenführung. Irgendwer muß eine klare Ansage machen, die Entscheidung treffen. Wer das tut, hat nichts mit Machtwahn oder Sadismus zu tun. Viele andere sind einfach froh, nicht selbst entscheiden zu müssen. Oder daß ein "Befehl" die Lücke füllt, in der sonst Zweifel und Ängste wuchern würden.

Gemobbte, Ausgenutzte usw. haben eben lange Zeit kaum Chancen gehabt, eigene Wünsche zu äußern. Wenn diese ignoriert wurden, war das noch die angenehmste Reaktion. Es ist natürlich ein langer Prozeß mit vielen Mühen und Rückschlägen, sich davon zu emanzipieren. Der paradoxe Punkt ist jedoch, daß die Gruppe ja eigentlich zu genau dieser Emanzipation da ist (→1). Zum Ausprobieren statt zum Unterordnen.
Außerdem ist so mancher Gruppenleiter selbst vorsichtig. Manchmal praktiziere ich die "paradoxe Intervention", soll heißen ich tu nichts und warte darauf, daß den anderen die Situation immer unangenehmer wird. Daß irgendwer von ihnen als kleineres Übel das Heft in die eigene zitternde Hand nimmt (→2). Aber das funktioniert nicht, die Leute sehen auf den Gruppenleiter - in dem Fall auf mich.

Nicht nur die Gruppenleitung übt Einfluß aus, sondern auch die anderen - sogar wenn sie nicht wissen, was sie tun sollen. Der "Herdentrieb" ist psychologisch gut erforscht: Wer nicht weiß, was zu tun ist, macht nach, was die anderen tun. Das kann gut gehen oder auch nicht (→3). Oft wird eine mühsam erdiskutierte Abmachung "einfach so" aufgegeben - sobald der Zweifel aufkommt, daß die anderen sich eventuell nicht dran halten würden.

Daß die Entscheidungsfindung so zäh ist, liegt nicht nur an der Mach-du-mal-Haltung. Denn wenn eine Idee offen gelegt ist, läßt sie sich auch bewerten. Sofort weiß die Angst, ob sie sich dran festkrallt. Dann verwandelt sich manch ein wurschtiges "mach ruhig" in ein entschiedenes "das kann ich aber nicht!" Dann beginnt das Gezerre um Sonderfallregeln, deren Sonderfall nie eintreten wird.

Naja, die Unsicherheit bietet auch die Chance, daß etwas völlig anderes kommt. Unerwartet, aber dadurch schön. Es kann sein. Traut euch aber trotzdem öfter mal: Gebt den Anstoß zum Weitergehen.

Julian / Braunschweig

↑1 Der klassische Witz zum Thema: Im Kindergarten fängt eine antiautoritäre Erzieherin neu an: "Heute macht ihr einfach mal, was ihr wollt." Nach einiger Zeit fragt ein Kind ganz verzweifelt: "Wie lange müssen wir denn noch machen, was wir wollen?"

↑2 Dieses Heft ist übrigens kein Notizheft für Zensuren und auch kein Reclamheft mit Regieanweisungen. Gemeint ist ein Schwertgriff.

↑3 James Surowiecki berichtet im Buch "Die Weisheit der Vielen" von einer Ameisenart im Urwald: Wenn dort eine Ameise nicht zum Bau zurückfindet, läuft sie einer anderen Ameise hinterher. Wenn viele Ameisen sich verlaufen haben, entsteht eine lange "Ameisen-Polonaise". Im guten Fall kennt die erste Ameise den Weg zurück oder schließt sich einer anderen Polonaise an. Im schlechten Fall hängt sich die erste Ameise ans Ende der eigenen Polonaise. Der Kreis schließt sich und die Tiere finden nicht mehr zurück.




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Die Hundertjährige und der Schnaps

Vor kurzem kam die Rede auf eine Hundertjährige, die ab und zu einen Schnaps trinkt. Es stellte sich heraus: ich war in der Runde nicht der einzige, bei dem diese Aussage eine solche Vermutung bestätigte.
Das "tägliche Likörchen" gehört zum Klischee über uralte Damen tatsächlich fest dazu. Aber wie paßt es zum hohen Alter? Dazu sind mir verschiedene Möglichkeiten eingefallen. Sie müssen nicht wahr sein, vielleicht sind sogar alle falsch. Aber bei der Wahrheitsfindung geht es darum, möglichst viele Vermutungen anzustellen, möglichst offen zu denken. Und dann erst zu überprüfen. Ich hatte diese Ideen:
- Schnaps - oder seine Zutaten wie z.B. Kräuterextrakte im Kräuterlikör - ist tatsächlich gut fürs Altwerden. Diese Deutung wird natürlich von Schnapskonsumenten bevorzugt.
- Wer 100 wird, ist ohnehin körperlich so kräftig, daß auch der tägliche Schnaps nicht schadet (→1).
- Zum Altwerden braucht man Gelassenheit im Umgang mit Fehlern. Die zeigt sich z.B. darin, sich den täglichen Schnaps nicht übel zu nehmen.
- Oder ist es eine Wahrnehmungsverzerrung, mit der die Leute sich ihren täglichen Schnaps schönreden?
- Oder ist es eine Wahrnehmungsverzerrung der anderen? Daß sie den Schnaps sehen, weil sie ihn sehen wollen; weil sie einen "Beweis" suchen, daß Alkohol und Altwerden zusammen-passen würden?
Fragen über Fragen. Sicher sind noch mehr Theorien im Umlauf.

Julian / Braunschweig

↑1 Zitat von Dr. von Hirschhausen im "Spiegel", Ausgabe 30/2017: "Ich wüßte ja gern, wie alt Helmut Schmidt ohne Zigaretten geworden wäre - 120?"




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Die Stief-Urgroßmutter im KZ

ZUSAMMENFASSUNG
   - Früher verfolgt, heute diskriminiert? Leidensgeschichten seelisch Kranker
   - Drittes Reich: Psychische Erkrankungen als Grund für Deportation
   - Roter Faden in der Familie: Auswirkungen auf den Umgang mit eigener Betroffenheit


Kürzlich saß ich bei einem Humangenetiker. Eigentlich nichts Besonderes, man reflektiert seine eigene Krankheitsgeschichte und sucht in den Stammbäumen nach möglichen Zusammenhängen mit Leiden von Verwandten. So ausführlich hatte ich mich eigentlich noch nie mit der Historie meines persönlichen Umfeldes verpasst, entsprechend unvorbereitet war ich auch. Ich wusste zwar von vielen Verwundungen durch den Zweiten Weltkrieg, denn ein Teil meiner Angehörigen hat seine Wurzeln in Ostdeutschland, dort, wo manche Schlachte besonders wütete. Ich wusste um die Großmutter, die auch nach 60 Jahren immer wieder erzählte, wie sie zu ihrer Schulzeit im fürchterlichen Bombenhagel in Dresden verschüttet worden war, die Chemikalien der Explosionen ihr die Luft zum Atmen und das Licht zum Sehen nahmen. Wie sie über 223 Leichen stieg, als ein Soldat sie mit einem getränkten Taschentuch vor den Augen aus der Stadt führte. Und wie sie später vergewaltigt wurde, immer und immer wieder, von den Besatzungstruppen. Nein, meine Oma beschuldigte niemanden für das, was sie erfahren musste, denn sie betonte stets, dass letztlich die Befreiung folgte.

Doch was ich nicht wusste: Es gab da auch eine Stief-Urgroßmutter. Dass so etwas zu damaligen Zeiten überhaupt denkbar war, in denen man sich doch eigentlich nicht scheiden und vor allem nicht neuerlich verheiraten ließ, schon allein solch eine Sensation war für mich völlig neu. Und überhaupt war mir bis zu diesem Termin in der humangenetischen Beratung nichts von ihrer Existenz bekannt, hatte ich mich nicht mit den Unterlagen beschäftigt, die darüber hätten Auskunft geben können. Und dann war noch etwas mir bis dorthin Verborgenes: Sie war offenbar eine Frau, die anders war. Im Verhalten und im Denken. Heute würde man ihr eine psychische Störung attestieren. Und damals? Da war sie unwert zu leben. Eigentlich bin ich davon ausgegangen, dass unsere Familie niemanden im KZ verloren hatte. Doch da hatte ich mich offenkundig getäuscht.

Diese Stief-Urgroßmutter, sie wurde deportiert. Aus den vorliegenden Informationen muss man erahnen, dass sie dort auch starb, im Konzentrationslager, in dem viele Menschen mit seelischen Nöten, mit Auffälligkeiten, die nicht zu einem Menschenbild passten, das Perfektion forderte, nur deshalb untergebracht waren, weil man sie absondern wollte, vom Rest der Öffentlichkeit, der nicht "angesteckt" werden sollte von diesen "merkwürdigen" Emotionen, die sie auslebte und die man in der Familie wohl lange noch verbergen wollte. Im Geschichtsunterricht lernten wir vor allem, dass Juden getötet wurden. Vom Holocaust und dem bis heute für niemanden greifbaren Verbrechen an Millionen, die eine Religionszugehörigkeit besessen haben, welche grundlos auf Vorurteile stieß, menschengemacht. Eigentlich stand der Wahnsinn auf der Seite derer, die sich über alles zu erheben versuchten, die in die Evolution eingreifen wollten. Opfer wurden aber die, denen man Wahn und Verrücktheit nachsagte, sie wurden geschlagen mit der Ideologie des Arischen, der körperlich und geistig unbefleckten Reinheit eines Individuums, die man denen nicht zutraute, deren Herkunft eine andere war - oder die mit den "falschen" Genen nicht so herangereift waren, wie der Führer es sich wünschte.

Für mich war die Nachricht über einen Toten in unserem Familienkreis, der im KZ elendig dahin siechen musste, in mehrerlei Hinsicht beklemmend: Einerseits gebe ich zu, dass es für mich immer schwer war mit dem Gedenken. Nicht, weil ich mich nicht erinnern wollte, sondern weil ich es nicht konnte. Für eine Generation, die weit entfernt von dieser Abart menschlichen Narzissmus' geboren wurde, bleibt es noch viel schwieriger, überhaupt zu begreifen, wie, warum und was da überhaupt geschehen konnte. Ich will teilhaben an der Trauer, ich will trösten dort, wo die Wunden nie heilen werden. Und ich will zeigen, dass mir das nicht egal ist, was ich zwar selbst nicht miterlebt habe, aber was mich gleichsam nicht loslässt - und sei es nur ein Mitfühlen, ein Beten für die vielen Unbekannten, die glücklicherweise durch das Bemühen verschie-denster Initiativen wieder Namen und ein Gesicht bekommen. Gleichsam wirkt mein Entsetzen so distanziert, meine Anteilnahme so unpersönlich. Und das liegt auch daran, dass verschwiegen wurde. Die Feststellung, wonach in Familien das Thema des Dritten Reiches ausgeblendet wird, scheint sich mit manch einer Hilflosigkeit zu erklären, die nicht entschuldigt. Dass Deutsche zu Monstern geworden sind, dass sie ihre eigenen Landsleute umbrachten, das Ringen mit Schuld und Verantwortung. Die Diskussion keimt immer wieder auf. Und ja, ich schäme mich dafür, dass in dem Land, in dem ich geboren bin, die größte Grausamkeit aller Zeiten begangen wurde.

Andererseits lenkte dieser "Fall" der Urgroßmutter meine Aufmerksamkeit auch nochmals auf die Dimension des Massenmordes. Menschen jüdischen Glaubens, Schwule und Lesben, Behinderte, "Ausländer" - und eben auch psychisch Kranke. Diese Breite an Eigenschaften, die man auserkoren hatte, die den Idealen des aufrechten Deutschen zuwiderliefen, wie man es propagierte, sie relativiert kein Leid auch nur einer einzigen dieser Gruppen, sondern macht das Unglaubliche nur noch viel unglaublicher. Auch ich wäre damals ein solcher Aussätziger gewesen, der möglicherweise im KZ gelandet wäre. Psychisch krank, Sympathieträger ist man damit auch heute noch nicht bei allen. Aber wie dankbar kann ich sein, dass wir eine Weltanschauung überwunden haben, in der es das "Normale" kaum noch gibt. In der wir Freiheit leben dürfen, so zu sein, wie wir möchten. In der uns klar ist, dass Erkrankung gelindert werden kann und kein Anlass sind, an der Integrität eines Lebens zu zweifeln. Eine Zeit, in der wir helfen, statt jemanden sich selbst zu überlassen - abgeschottet, ausge-hungert, verzweifelnd, sterbend. Alle Erleichterung ermahnt uns aber auch, dass wir noch nicht am Ziel sind mit dem Wunsch, der über 70 Jahre nach dem Grauen doch heißen muss: Wir wollen eine Gesellschaft, die zumindest in der Wertschätzung der Würde jedes Einzelnen grenzenlose Inklusion übt. Aufklärung tut weiterhin not. Dass Behinderung kein Grund ist, zu erniedrigen. Dass niemand Schuld hat für seine Krankheit. Dass wir alle betroffen sein könnten. Besonders bei den jungen Menschen, dort müssen wir anfangen - und weitermachen, wo immer wir sie auch erreichen.

Der Zufall, der mich auf die Spur einer Frau führte, die keines natürlichen Todes starb. Damals, als alles so unwirklich war. Und trotzdem ist es die Wahrheit, vor der wir auch heute nicht entfliehen können. Es reichte aus, den Normen nicht zu entsprechen. Die manchmal so pubertierende Frage, die bei vielen Deutschen auch bis in hohe Alter noch jegliche Anteilnahme überdauert, was uns denn das Geschehene von vorgestern noch anginge, sie wirkt nicht nur zynisch, sondern offenbart die Ausmaße des Terrors, der damals über Unschuldige kam. So groß ist die Last, dass sie Viele nicht dazu befähigt, an der Aufarbeitung zu partizipieren. Und sei es eben nur durch ein Ende des Schweigens über das Vergangene. Die Konfrontation mit dem Uner-träglichen, sie sprengt viele Horizonte. Und doch werden wir eingeholt. Ich bin froh, dass es bei mir jetzt soweit war. Es unterstützt mich, heute mehr zu wissen und zumindest eine Stellvertretende zu "kennen", in die ich mein Kopfschütteln, aber auch meine Hoffnung legen kann, dass wir etwas gelernt haben, dass wir wieder Menschen geworden sind...

Dennis Riehle
Martin-Schleyer-Str. 27
78465 Konstanz
Webpräsenz: www.Dennis-Riehle.de


Wer selbst die Suche beginnen möchte nach NS-Opfern in der eigenen Verwandtschaft, kann die Namen in den Verzeichnissen der Gedenkstätten ausprobieren:

Bergen-Belsen

"Das Gedenkbuch ... kann über die Gedenkstätte Bergen-Belsen für 28,- Euro zuzüglich Versandkosten erworben werden."

Buchenwald

totenbuch.buchenwald.de

Dachau

"Ein computerisiertes Häftlingsregister enthält Daten von mehr als 90 Prozent der über 200.000 Gefangenen, die im KZ Dachau inhaftiert waren."

Flossenbürg

www.gedenkstaette-flossenbuerg.de/totenbuch/information/

Groß-Rosen

de.gross-rosen.eu/baza-zmarlych-wiezniow/przegladaj-baze/

Mauthausen

www.gedenkstaetten.at/raum-der-namen/cms/?

Neuengamme

www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de/geschichte/totenbuch/

Ravensbrück

(kein Online-Register auf der Webseite gefunden)

Sachsenhausen

www.stiftung-bg.de/totenbuch/

U.S. Holocaust Museum

www.ushmm.org/online/hsv/person_advance_search.php

Yad Vashem

yvng.yadvashem.org


Der nächste Schritt in der Recherche ist der internationale Suchdienst ITS in Bad Arolsen. Hier liegen zu vielen NS-Opfern genauere Akten, im Antrag auf Einsicht muß man aber die Verwandtschaft angeben.
Webseite: www.its-arolsen.org

Und für Kriegsgefallene - darunter auch Menschen, die eine KZ-Haft wegen "Wehrkraftzersetzung" vermeiden wollten - bietet der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge ein Online-Register: www.volksbund.de/graebersuche.html



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Was würde ICH da bloß antworten?
Teil 4: Außergewöhnliche Notsituationen

Wer irgendwas verkaufen will, sei es ein zweifelhaftes Produkt oder eine zweifelhafte Meinung, nutzt gern diese rhetorische Technik: Erst 2-3 Binsenwahrheiten sagen, das Opfer diesen zustimmen lassen, damit einen Konsens aufbauen. Erst sobald sich beide einig sind, kommt der Bullshit. Ich habe das gleiche Prinzip auch in Reden von Björn Höcke gefunden.
Hier geht es aber um etwas Gutes: den Anstieg des Meeresspiegels zu verhindern. Das Eis der Antarktis soll abgetragen werden...

...und zwar hat das folgenden Hintergrund: Durch den Treibhauseffekt wird die Atmosphäre ja immer wärmer, und dadurch fängt das Eis an zu schmelzen und fließt ins Meer, und der Meeresspiegel steigt; steigt irgendwann zu viel, überschwemmt das ganze Land. Deshalb wurde jetzt der Vorschlag gemacht, das Eis abzutragen.
Es gibt aber auch`n Gegenvorschlag von anderen, die sagen, dass das nun ja nicht passieren darf, weil dann zuviele Landstriche überschwemmt werden und weil man die Flüsse eindämmen muss und weiß ich, was da alles noch so ist, und deshalb zwei verschiedene Meinungen oder noch mehr Meinungen. Ich als kleiner Furz kann da nun garnichts entscheiden, aber ich kann mir vorstellen, alles, was wir gemacht haben, in der Vergangenheit, diese großen Eingriffe in die Erde, sind alle schiefgegangen, also, wir ham die Flüsse begradigt, ja jetzt ham wir gemerkt, das war nichts, jetzt werden die Flüsse wieder in das normale Bett gelegt und lauter solche Sachen, ich kann mir vorstelln, dass so ein großer Eingriff nicht gut sein kann, auch wenn ich von der Sache nicht viel verstehe, aber aus der Vergangenheit weiß ich, große Eingriffe - waren schiefgegangen. Also möcht ich das nicht, dass das Eis abgetragen wird.
Es muss natürlich dafür gesorgt werden, dass die Erwärmung der Atmosphäre und sowas alles aufhört, aber...
Ja, wie wolln Sie das machen?...
Ja genau! Es ist halt nicht zu vermeiden, dass die nächsten 50 Jahre die Temperatur pro Jahrzehnt so etwa um 3 Grad ansteigt.
Ja.
Und dadurch schmilzt natürlich das ganze Eis.
Ja.
Und um dem Anstieg des Meeresspiegels vorzubeugen, muss man das Eis von da wegtragen.
Ja, und wo wolln Sie das Eis hinhaben, wenns nicht ins Meer schmelzen soll, wo soll das Eis dann hin?
Da ham natürlich die Wissenschaftler auch eine Möglichkeit gefunden. Sie wissen ja, auf der Welt verdursten jedes Jahr so etwa 30 Millionen Kamele. Wenn man den Kamelen...
(lacht)
... das Wasser zu trinken gibt... dann ham die das in ungefähr 30 bis 35 Jahren getrunken.
Ja. Ja, wie wolln Sie dann also das Eis nun wieder in die Wüste zu den Kamelen schaffen?
Ja, da ist natürlich einfacher, die Kamele in die Antarktis...
(lacht schon wieder)
... zu transportieren.
Ja... ich glaube, da... Ich glaube, die Geschichte ist einfach zu verrückt, da werden die Kamele sich bedanken.
Weil die das frische Wasser kriegen am Nordpol, das ist doch...
Aber die sind ausgerichtet für die Wüste und nicht für den Nordpol, wie wolln die mit den Temperaturen fertigwerden; oder gibt es Kamele, die in dieser Kälte leben können?
Da kann man auch einen Kompromissvorschlag machen, die Kamele und das Eis treffen sich dann in Südafrika und in Australien. Da ist es warm genug, und das Eis braucht nicht so lange transportiert zu werden.
(lacht zum dritten Mal) Also, Entschuldigung, aber irgendwie kommt mir das hier vor, als will mich irgendjemand verarschen. Also ich kann mir das nicht wirklich vorstellen. Eis dahin, Kamel dahin, trefft euch und tut euch gut aneinander, nein, also die Geschichte kann ich mir nicht...
Aber außergewöhnliche Notsituationen erfordern außer-gewöhnliche Maßnahmen.
Ja... gut... außer... ja... gut... Notsituationen... Notmaßnahmen, ist okay, nee, aber ich denke, das ist ein bisschen zu weit vorgeholt, ich kanns mir nicht vorstelln. Also ich würde sagen, wir müssen mit der Erwärmung, die ja voran...
(Abbruch der Aufzeichnung, vermutlich durch eine leere Batterie in der Kamera)

Was war denn da los? Gerade eben hat die Befragte noch die Sache durchschaut, und plötzlich stammelt sie nur noch irgendeine Zustimmung. Das hat mich schon in genau dem Moment überrascht.

Julian / Braunschweig

P.S.:
Bei den "30 Millionen Kamelen" hatte ich die vergebliche Erwartung, daß jemand auch die durstigen Kinder in armen Ländern erwähnt.



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zuletzt am 16.07.2023 um 12 Uhr 26